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„Das Licht wäre aus, wenn ILIAS, Stud.IP, OpenCast oder moodle fehlen würden“

Wie das Open Source Development Network (OSDN) die digitale Souveränität von Hochschulen stärkt und so die Zukunft der Bildung gestaltet

In diesem Interview sprechen wir mit Tomke Fries und Christian Friedrich über das Open Source Development Network (OSDN) und die Bedeutung von Open-Source-Software für die Bildung und die Zukunft der digitalen Lehre. Wir erfahren, wie das OSDN die digitale Souveränität von Hochschulen stärkt, indem es die Entwicklung von Open-Source-Software wie ILIAS, Stud.IP, OpenCast und moodle unterstützt. Tomke Fries und Christian Friedrich erklären, warum Open-Source-Software so wichtig für die Bildung ist und wie das OSDN die Herausforderungen meistert, die mit der Entwicklung und dem Einsatz von Open-Source-Software verbunden sind.

1| Was ist das Ziel Eures Projekts – und welche Lücke im Bildungsbereich wollt ihr damit schließen?
Das Open Source Development Network „OSDN“ investiert in die Open-Source-Software, die für die Lehre an niedersächsischen Hochschulen kritische Infrastruktur ist. Wir arbeiten an Weiterentwicklungen, die für eine einzelne Hochschule oft zu groß sind: Barrierefreiheit, Security, Bedienbarkeit, Nutzendenführung und vieles mehr. Davon haben dann alle Hochschulen etwas, die diese Software-Produkte im Einsatz haben. Gefördert wird das OSDN von der Hochschule.digital Niedersachsen https://hochschuledigital-niedersachsen.de/home/ im Verbundprojekt Digitale Lehre Hub Niedersachsen https://hochschuledigital-niedersachsen.de/home/digitale-lehre-hub-niedersachsen/ und das Projekt läuft noch bis ins Jahr 2028. Das Besondere am OSDN ist, dass wir hier in großem Umfang und übergreifend die Software fördern, die wir alle im Hochschulbereich täglich für die Lehre nutzen. So wollen wir auch das Zusammenspiel der Plattformen verbessern, was für den Austausch von Materialien und Bereitstellung als OER eine wichtige Verbesserung darstellt.

2| Warum ist es denn wichtig, Open-Source-Software zu entwickeln?
Eine große Mehrheit der Hochschulen in Niedersachsen und darüberhinaus organisieren Lehre teilweise oder komplett mit Open-Source-Software: moodle, ILIAS, Stud.IP oder auch BigBlueButton und viele andere Produkte sind im täglichen Einsatz. Das ergibt auch Sinn: Hochschulen können diese Software an die eigenen Gegebenheiten anpassen, mit ihren eigenen Software-Ökosystemen vor Ort kombinieren. Sie machen sich unabhängig von der Preispolitik eines einzelnen Anbieters. Außerdem haben sie auch volle Kontrolle über die Software und können glaubhaft vermitteln, dass niemand außerhalb der Hochschule unrechtmäßigen Zugriff auf Daten von Studierenden hat. Aber viele verstehen Open Source noch als eine Art gratis Produkt, das einfach so da ist. Wir zahlen häufig für Software, die Lizenzgebühren kostet: Zoom, MS365, Adobe und viele andere Tools. Aber auch die Entwicklung von Open Source kostet Geld – gerade, wenn die Software up to date sein soll, müssen wir investieren. Das OSDN koordiniert die Bedarfe von Hochschulen und ist in der Entwicklung effizienter und wirksamer als einzelne Hochschulen. Wir tragen dazu bei, dass die Infrastruktur für die Hochschullehre erhalten bleibt und sich weiterentwickelt.

Interview mit Fries & Friedrich

Tomke Fries arbeitet im Team Mediendidaktik des e-Learning Service der Leibniz Universität Hannover und ist im Projekt OSDN für die Zusammenarbeit mit den ILIAS-Communities verantwortlich, insbesondere im Bereich Weiterentwicklung von OER-Plattformen mit dem Fokus auf Test und Assessment, Accessibility und Schnittstellen.

Christian Friedrich ist als Freiberufler Sprecher und strategischer Berater des Projekts OSDN.

3| Was macht das OSDN für Hochschulen denn attraktiv – gerade im Vergleich zu kommerziellen Lösungen?
Im OSDN sind derzeit moodle, ILIAS, Stud.IP, OpenCast und OERSI verbunden. Im Vergleich zu den Lizenzgebühren für die großen bekannten Software-Produkte sind die Ausgaben zwar noch relativ klein, aber sehr wirksam. Wir freuen uns schon jetzt, knapp ein Jahr seit Projektstart, dass unsere Investments bald einen echten Impact auf die Qualität der Software haben werden. Beteiligung an der Software-Entwicklung und die Berücksichtigung von Bedarfen aus der Hochschullehre ist für proprietäre Software kaum denkbar. Dort werden Updates einfach eingespielt. Ob das dann auch bedeutet, dass bestimmte Funktionen abgeschaltet werden, merken viele Nutzenden erst, wenn es zu spät ist.

Bei der Software im OSDN ist das anders: Wir sprechen mit den Entwickelnden-Communities, überlegen wo entlang der Roadmap von Software sinnvolle Investments zu machen sind. Alle haben etwas davon haben, dass wir hier öffentliche Gelder einsetzen – ganz nach dem Motto „public money, public code“. Für die Hochschulen hat das klare Vorteile: Sie werden in die Entwicklung mit einbezogen, wenn sie das möchten. In Workshops und Gesprächen überlegen wir gemeinsam mit den Entwickelnden und den Hochschulen, welche Verbesserungen sinnvoll sind und wann sie integriert werden können. Auch wenn Hochschulen in Software-Entwicklung noch recht unerfahren sind, können sie sich beteiligen und Input geben. Damit tragen sie dazu bei, dass die Software, die sie nutzen, weiterhin zu ihren Nutzungsszenarien passt. Dadurch, dass wir in ein Open-Source-Ökosystem von Software investieren, behalten Hochschulen auch die Wahlfreiheit über Tools und Software, können selbstbestimmt agieren und entscheiden, welche Software am besten zu ihnen passt. Wir reduzieren Lock-In Effekte und tragen zur digitalen Souveränität von Hochschulen bei.

4| Wie funktioniert die Zusammenarbeit im Projekt – wer entwickelt die Technologie und wer bestimmt, was entwickelt werden soll?
Wir stimmen uns im Projekt eng mit den beteiligten Hochschulen, mit den Entwickelnden, aber auch den Betreibenden und den Nutzenden ab. Wir überlegen, wo eine Investition in die Software am meisten hilft: Haben alle Hochschulen etwas davon? Ist die Weiterentwicklung für uns „groß genug“ oder könnte das auch eine Hochschule im Alleingang umsetzen? Wird die Software durch unsere Entwicklung zukunftssicherer? Sobald das Ziel klar ist, starten wir den Vergabeprozess. Darin haben wir Übung und sind oft schneller als Hochschulen, die nicht so oft Software-Entwicklungen beauftragen. Die Entwicklung übernehmen diejenigen, die bisher schon die Software entwickelt haben. Und, sobald die Entwicklung gemacht ist, fließen die Verbesserungen bestenfalls in den Kern der Software – mit einem nächsten Release oder Update. Das bedeutet nämlich, dass alle Hochschulen, die auf eine neue Softwareversion updaten, automatisch von unseren Verbesserungen profitieren. Kurzum: Wir versuchen, alle im Prozess mit ihrer jeweiligen Kern-Expertise zu beteiligen.

5| Welche Rolle spielt Open-Source-Software für Hochschulen?
An vielen Hochschulen wäre für die Lehre das Licht aus, wenn ILIAS, Stud.IP, OpenCast oder moodle fehlen würden. Das OSDN sorgt dafür, dass das Licht weiterbrennt. Eine Teilaufgabe von OSDN ist es, die Softwareprodukte untereinander besser zu verzahnen, sie also über Schnittstellen noch kompatibler miteinander und mit anderer Software zu machen. Mit dem OERSI ist am OSDN auch ein Projekt beteiligt, das sich dezidiert darum kümmert, dass OER besser in die Hochschullehre integriert werden können. Insgesamt merken wir schon jetzt, dass sich in den Hochschulen etwas ändert: Mit dem OSDN bieten wir die Chance, sich relativ niederschwellig am Entwicklungsprozess von Open-Source-Software zu beteiligen. Dadurch bekommen Hochschulen auch strategisch andere Möglichkeiten, ihre Software-Ökosysteme zu gestalten. Hochschulen werden weniger zum Spielball von Software-Providern, sondern entwickeln neue Handlungsmacht, sich strategisch weiterzuentwickeln.

6| Welche Herausforderungen erlebt Ihr?
Open-Source-Software hat ein Image-Problem. Viele denken, dass Open-Source-Software Hobby-Projekte von irgendwelchen Nerds sind. In den Communities sind viele Unternehmen und Entwickelnde, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten, hochprofessionell arbeiten und sich so sehr mit ihrer Software identifizieren, dass sie auch im Urlaub und nach Feierabend schauen, ob alles funktioniert. Aber wahr ist auch: Manche Hochschulen und auch die Politik schätzen das noch zu wenig. Sie müssten eigentlich daran interessiert sein, dass die kritische Infrastruktur für Hochschullehre gut funktioniert, aber die wenigsten geben wirklich dafür Geld aus. Das muss sich ändern, wenn Hochschulen weiterhin selbstbestimmt arbeiten wollen, ohne die Abhängigkeit von großen Software-Herstellern, und das OSDN ist ein guter erster Schritt in diese Richtung.

7| Was ist Eure Vision für die nächsten Jahre – was wünscht Ihr Euch für Plattformen wie Eure in der Bildungslandschaft von morgen?
Das, was wir im Projekt OSDN tun, ist wichtig und sehr befriedigend, darf aber eigentlich keine Projektarbeit sein. Im Gegenteil: Hochschulen und Länder sollten regelmäßig und fortlaufend in die Software investieren, die sie als Infrastruktur für Lehre nutzen. Wir arbeiten mit dem OSDN auf eine Welt hin, in der es selbstverständlich ist, dass Open-Source-Software von denen weiterentwickelt wird, die von ihr profitieren. Das Schöne daran ist, dass dann auch nicht irgendjemand die Richtung vorgibt, in die sich die Software-Produkte entwickeln, sondern die Hochschulen und die Communities selbst. So kann die Bildungslandschaft in den Hochschulen auch weiter den Prinzipien von Freiheit in Forschung und Lehre entsprechen und unabhängig bleiben.

Termine: Wo kann man Euch und das OSDN kennenlernen?
Mitarbeitende des OSDN sind in den kommenden Wochen auf der moodlemoot in Lübeck (02.-05.09.25), beim OERcamp in Hannover (04.-06.09.25), auf dem HdN (Hochschule.digital Niedersachsen) Summit in Hannover (11.-12.09.25) und auf der Development Conference ILIAS (10.-11.09.25).

Mehr zum OSDN: https://hochschuledigital-niedersachsen.de/home/digitale-lehre-hub-niedersachsen/das-open-source-development-network/